Massenprotest:

20.05.2009 Die Sorge der ganzen Region. Leitartikel von Regina Frank in der SWP am 16.5.2009

So langsam wird vielen Kurzarbeitern bange. Noch ein Tag zu Hause, noch eine Woche. Im Keller gibt es nichts mehr aufzuräumen, selbst die Fahrräder der Kinder sind generalüberholt. Nichts mehr zu tun, was ablenkt von der Zwangspause und der Angst, bald ganz aussortiert zu werden.
Die Leiharbeiter im Betrieb mussten schon gehen, die befristet Beschäftigten ebenfalls. Die Krise geht in den achten Monat, und man sagt, es handle sich um die größte Wirtschaftskrise seit 1929. Umso verwunderlicher, dass die Leidtragenden ihre Seelenpein so lange mit sich herumtrugen und für sich behielten - als ob das ihre Privatsache wäre.

Die Sorge auf die Straße zu tragen, gibt der Misere ein Gesicht. Es geht schließlich um Menschen und deren Lebensgrundlage und nicht nur um betriebswirtschaftliche Erträge und das Geld Vermögender. Die Sorge auf die Straße zu tragen, passt zum gegenwärtigen Umbruch. Der Neoliberalismus muss abdanken und mit ihm der Rückzug ins Private. Es ist alles andere als eine Privatsache, wenn ganze Belegschaften nicht wissen, ob sie nach der Krise noch einen Arbeitsplatz haben oder nicht. "Ene mene muh & raus bist du", schrieben Arbeitnehmer auf ihr Transparent für die Demo. Du oder dein Freund, der im gleichen Betrieb
schafft. So empfinden Arbeitnehmer diese Zeit.

Ihre zentrale Forderung, die Kurzarbeit voll auszuschöpfen, ist mehr als berechtigt. In der Metall- und Elektroindustrie der Region Ulm sind nach Gewerkschaftsinformationen mehr als die Hälfte der Betriebe nicht ausgelastet. An diesen Betrieben hängen 21 000 Arbeitsplätze. Doch immer noch scheuen Unternehmer offenbar davor zurück, Kurzarbeit einzuführen - wegen des Aufwands, wegen der Kosten, oder weil sie es nicht fertig bringen, ihren Leuten zu sagen, sie sollen zeitweise zu
Hause bleiben. Stattdessen zu riskieren, den Laden vollends an die Wand zu fahren mit der Konsequenz, Mitarbeiter entlassen zu müssen, ist verantwortungslos. So ein Vorgehen vernichtet nicht nur Arbeitsplätze, sondern zugleich Knowhow. Das wäre für die Region ein doppelter Verlust.

Die regionale Wirtschaft ist in großen Teilen zukunftsfähig. Es mangelt nicht an Innovationen. Selbst eine längere Phase von Kurzarbeit würde hier mitnichten ins Nichts führen. Wenn sich bequeme Unternehmer auf der Kurzarbeiterregelung ausruhen und erforderliche Neuausrichtungen in ihrem Betrieb vor sich herschieben, ist das nicht zu verhindern. Dies als Argument gegen eine Verlängerung des Kurzarbeitergeldes anzuführen, greift indes zu kurz. Der erst durch die aktuelle Notlage erzwungene Strukturwandel vollzieht sich nur zäh. So sitzen viele Firmen in der Region noch auf ihren Innovationen, die aber nicht abgefragt werden - weil ihre Kunden immer noch schnarchen oder weil Strukturanpassungen immer noch ausstehen.

Beispiel: Iveco, wo es für Außenstehende den Anschein hat, als ginge im Moment fast gar nichts mehr, zumindest in der Produktion schwerer Lkw. Das Unternehmen rang sich gerade durch, große 26-Tonner mit Erdgasantrieb auf dem deutschen Markt einzuführen. Ein auf die Lebensmittelbranche spezialisierter Spediteur testet vier dieser sauberen und leisen Transporter. Iveco ist mit der Technologie fast konkurrenzlos und der Durchbruch lediglich eine Frage der Zeit.

Sobald solche Innovationen einen Markt haben, brauchen die Betriebe vor allem eines: ihre Mitarbeiter.

REGINA FRANK

Letzte Änderung: 20.05.2009