Interview der Südwest Presse 27.02.2010

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02.03.2010 Im Interview: Maria Winkler und Reinhold Riebl von Verdi und IG Metall Autor: REGINA FRANK/THOMAS STEIBADLER

Die sonst so kämpferischen Metaller machen vor: Es geht ohne Gepolter und Streik. Ist das der neue Weg in der Tarifpolitik? Wir sprachen mit dem Ulmer IGMetall-Chef Reinhold Riebl und Verdi-Chefin Maria Winkler.

Läutet die mächtigste Gewerkschaft im Land gerade einen Paradigmenwechsel in der Tarifpolitik ein, indem sie auf die üblichen Droh-Rituale verzichtet und gleichzeitig ihr vornehmliches Ziel durchsetzt, Arbeitsplätze zu sichern?

REINHOLD RIEBL: Ich halte das für eine falsche Interpretation. Die IG Metall von 2009 und 2010 ist keine andere als diejenige, die 2008 eine Acht-Prozent-Forderung erhob - übrigens unter der gleichen Führung. Wenn aber zwei Drittel der Betriebe unterausgelastet sind und jeder fünfte Beschäftigte in Kurzarbeit, müssen wir entsprechende Prioritäten setzen. Es sind dramatische Voraussetzungen, auf die wir in besonderer Weise reagierten. Richtig ist: Wir sind in einer neuen, für die IG Metall ungewöhnlichen Form auf die Arbeitgeber zugegangen.

Also keine inhaltliche Neuausrichtung?

RIEBL: Wir haben schon im vergangenen Jahrzehnt als Reaktion auf die vielen Unternehmensverlagerungen ins Ausland, Tarifvereinbarungen getroffen, die Investitionen im Inland begünstigen und zugleich die Personalkostenentwicklung berücksichtigen. Stichwort: Pforzheimer Abkommen. Einen Paradigmenwechsel kann ich daher nicht sehen. In ihrer Form war die Tarifrunde natürlich sensationell.

Sieht der rituelle Ablauf bei Verdi mit forschen Forderungen und Straßenprotesten daneben nicht aus wie Gehabe von gestern?

MARIA WINKLER: Die Situation im öffentlichen Dienst ist anders als in der krisengeschüttelten Metallindustrie. Nachdem in den vergangenen Jahren schon 1,6 Millionen Arbeitsplätze verloren gingen - in den Krankenhäusern ist die Personaldecke dünner als vor zehn Jahren -, sind die Beschäftigten nicht akut von Arbeitsplatzabbau bedroht.

Sie meinen, das ist ausgereizt?

WINKLER: Da gibt es nichts mehr abzubauen. Abgesehen davon: Nach sehr mageren Tarifabschlüssen in der Vergangenheit sind Lohnsteigerungen für unsere Mitglieder auch in Krisenzeiten wichtig.

Verdi braucht die Öffentlichkeit, um den Forderungen Nachdruck zu verleihen. Wenn ausgerechnet der Bürger Leidtragender eines Warnstreiks ist - halten Sie das für klug?

WINKLER: Wir wollen natürlich Außenwirkung erzielen, aber ohne dass jemand zu Schaden kommt. Es gab übrigens auffallend wenige negative Stimmen. Wenn von 20 Anrufern am Tag zwei Drittel nur wissen wollen: Wann fährt der nächste Bus?, scheint der Ärger sich in Grenzen zu halten.

Wenn Sie nicht Metaller vertreten würden, Herr Riebl, sondern Kindergärtnerinnen und Straßenbahnfahrer - wofür würden Sie kämpfen: für Arbeitsplätze oder Geld?

RIEBL: Tarifpolitik wirkt sich unmittelbar am Arbeitsplatz aus, deshalb muss man immer ganz genau hinschauen. Ich habe nicht den nötigen Einblick in den öffentlichen Dienst, also enthalte ich mit jeder besserwisserischen Empfehlung.

Die Gewerkschaft von Herrn Riebl genießt große öffentliche Akzeptanz. Kommt da Neid auf, Frau Winkler?

WINKLER: Ich beneide die IG Metall überhaupt nicht für die Situation, in der sie steckt. Wirtschaftskrise, Kurzarbeit . . ., aber die IG Metall hat immerhin einen Verhandlungspartner, der dazugelernt hat. Einen homogenen obendrein. Anders bei uns. Wir sehen uns verschiedenen Interessengruppen gegenüber, Ost und West, Nord und Süd, großen und kleinen Kommunen.

RIEBL: Da muss ich widersprechen. Von Homogenität kann keine Rede sein, unsere Tarifpolitik geht den kleinen Mittelständler im Gewerbegebiet an und genauso ein Welt-Unternehmen wie Evobus. Ich halte es auch für eine Überinterpretation zu sagen, die Arbeitgeber hätten etwas dazugelernt. Es ist in dieser Krise schlicht so: Die Existenz der Arbeitgeber ist bedroht wie die der Arbeitnehmer. Beide schauen in den Abgrund. Wir haben eine Situation des Burgfriedens, die aus der blanken Not heraus entstand. Das ist eine brüchige Situation. Der aktuelle Tarifabschluss ist ein Beitrag dazu, dass dieser Burgfrieden hält.

Es war also die schiere Not, die Metaller und Arbeitgeber zusammenschweißte. Nun blicken Städte, Gemeinden und Landkreise ebenfalls in einen Abgrund. Wurde bei Verdi darüber nachgedacht, näher mit den Kommunen zusammenzurücken, um gemeinsam die Zumutungen des Bundes abzuwehren?

WINKLER: Sie unterstellen damit: So schlecht gings den Kommunen noch nie! Das ist so aber nicht richtig. Sie sind 2002, was die Einnahmen angeht, in ihre größte Krise geschlittert. Selbst wenn 2010 so schlimm wird, wie prognostiziert, so sind die Kommunen immer noch auf einem besseren Niveau als damals. Und in punkto Näherrücken: Wir haben uns 2003 für eine Gemeindefinanzreform eingesetzt. Gebracht hat es wenig, wenn jede Steuerreform des Bundes den Städten Milliardenverluste bringt.

Leidet das Verhältnis Ihrer beiden Gewerkschaften unter den unterschiedlichen Strategien?

WINKLER: Auf der Spitzenebene gab es sicher Gespräche zwischen Huber und Bsirske. Hier im Alltag haben wir so viele Berührungspunkte, da führt eine unterschiedliche Vorgehensweise nicht zu Konflikten. Warum auch? Man muss immer betrachten, für welche Branche man steht.

RIEBL: Wir sind diesmal ein großes Risiko eingegangen. Im Rückblick ist unser Weg geglückt. Dabei hat uns Verdi sogar genutzt.

Inwiefern?

RIEBL: Weil die Arbeitgeber beobachten konnten, was die Alternative ist, wenn es in der Metallindustrie zu keiner einvernehmlichen Lösung kommt.

Ist die Kuh nun, nach dem Schlichterspruch vom Eis?

WINKLER: Die Möglichkeit eines gleitenden Ruhestands für ältere Beschäftigte hat Niederschlag gefunden und damit ein wesentlicher Teil unserer Forderung. Die Lohnkomponente (eine mehrstufige Lohnerhöhung um insgesamt 2,3 Prozent, Anm. d. Red) ist tragbar für die Kommunen. Ein ordentliches Ergebnis, wenn es zum Tragen kommt.

Steckbrief der Gewerkschaftsbosse

Maria Winkler (50) wurde 2001 Chefin der ÖTV-Kreisverwaltung Ostwürttemberg-Ulm. Noch im gleichen Jahr übernahm sie die Geschäftsführung der fusionierten Dienstleistungsgewerkschaft Verdi im Bezirk Ostwürttemberg-Ulm. Sie vertritt die Interessen von 17 000 Verdi-Mitgliedern zwischen Ostalb und Laupheim. Die gelernte Kinderkrankenschwester begann ihre Gewerkschaftslaufbahn 1989 in Augsburg.

Reinhold Riebl (55) wurde 2008 zum Ersten Bevollmächtigten der IG Metall Ulm gewählt. Er vertritt 18 500 Mitglieder in Ulm und den Landkreisen Alb-Donau und Biberach. Riebl kam 1990 aus Göppingen als Gewerkschaftssekretär in das Ulmer Gewerkschaftsbüro. Zuvor hatte er eine Lehre absolviert, sich über das Telekolleg weiterqualifiziert und ein FH-Studium in der Jugend- und Erwachsenenbildung abgeschlossen.

Letzte Änderung: 02.03.2010